🧠 Wie Raster- und Schubladendenken unser Leben bestimmt

 


Eine persönliche Erinnerung – und was sie ĂŒber unsere Gesellschaft verrĂ€t

1. Ein ganz normaler Spaziergang?

Ich erinnere mich an eine Szene aus meiner Schulzeit, auf einer Klassenfahrt nach Juist.
Ich war mit zwei MitschĂŒlerinnen zum AufrĂ€umen eingeteilt. Die restliche Klasse war schon zum Schwimmbad aufgebrochen, und ich sollte mit den beiden MĂ€dchen nachkommen. Als wir uns auf den Weg machen wollten, sagte eine von ihnen:

„Ich gehe nicht mit dir. Es sieht sonst so aus, als wĂŒrden wir miteinander gehen.“

Das hat mich damals irritiert. Wir waren doch einfach nur MitschĂŒler. Was sollte daran seltsam sein?

Die andere sagte nichts – und ging einfach mit. SpĂ€ter im Leben, viele Jahre danach, traf ich mich mit genau dieser zweiten MitschĂŒlerin wieder – in einem Restaurant. Eine Bekannte kam vorbei, und sie erklĂ€rte sofort, dass wir nur ein kleines Klassentreffen zu zweit hĂ€tten. Ich kommentierte nur trocken:

„Du kannst ihr viel erzĂ€hlen. Sie glaubt nur, was sie sieht: eine Frau mit einem fremden Mann.“

Und ich merkte: Auch wenn wir selbst nicht in Schubladen denken – andere tun es. Und manchmal passt man sich diesem Denken an, ohne es zu wollen.


2. Warum wir in Schubladen denken – und was das mit uns macht

Solche Situationen sind keine EinzelfÀlle. Sie zeigen ein gesellschaftliches Muster:
Menschen denken in Rastern. Diese Raster helfen, die Welt zu ordnen. Aber sie reduzieren auch. Sie lassen wenig Raum fĂŒr das Dazwischen – fĂŒr das Uneindeutige.

Ein typisches Beispiel:

  • Zwei MĂ€nner oder zwei Frauen gehen zusammen spazieren? → Freunde

  • Ein Mann und eine Frau? → Ein Paar?
    Und wenn sie sagen, sie seien nur Freunde? Dann wird ihnen oft nicht geglaubt.

Freundschaft zwischen Mann und Frau passt fĂŒr viele nicht ins Raster.

Das nennt man „Unconscious Bias“ – unbewusste Denkmuster.
Laut der EAF Berlin (EuropĂ€ische Akademie fĂŒr Frauen in Politik und Wirtschaft) denkt jeder Mensch in solchen Schubladen. Das ist normal, aber problematisch – denn diese Denkweisen fĂŒhren oft zu FehleinschĂ€tzungen und Vorurteilen. Mehr dazu auf der Website der EAF Berlin.


3. Das Problem beginnt nicht im Kopf – sondern im Alltag

Das Besondere an meiner Geschichte ist nicht nur das Schubladendenken selbst. Es ist die Erkenntnis, wie sehr unser Verhalten durch die Wahrnehmung anderer beeinflusst wird.

Selbst wenn wir selbst offen denken, mĂŒssen wir uns plötzlich rechtfertigen – fĂŒr etwas völlig Normales.
Wir beginnen, unser Verhalten zu erklÀren, Erwartungen vorwegzunehmen oder uns zu distanzieren, obwohl es eigentlich keinen Grund gibt.

Raster schaffen nicht nur Bilder im Kopf – sie erzeugen reales Verhalten.
Und damit auch reale Barrieren.


4. Was wir daraus lernen können

Wir werden Raster nicht abschaffen – und das ist auch nicht notwendig.
Aber wir können lernen, sie bewusst wahrzunehmen. Und wir können anfangen, Situationen nicht sofort zu deuten, sondern zu fragen. Nicht alles, was wie ein Paar aussieht, ist eins. Nicht alles, was wie NÀhe wirkt, ist Liebe. Und nicht alles, was wir sehen, entspricht der RealitÀt.

Wir brauchen mehr Raum fĂŒr das, was nicht eindeutig ist.
FĂŒr Freundschaft zwischen Mann und Frau. FĂŒr Zusammensein ohne Etikett. FĂŒr Vertrauen in das, was Menschen sagen – und nicht nur in das, was wir „meinen zu sehen“.


5. Fragen an die Leser

  • Hast Du selbst schon erlebt, wie Du in eine Schublade gesteckt wurdest?

  • Kennst Du Situationen, in denen Du Dich erklĂ€ren musstest, obwohl es eigentlich nichts zu erklĂ€ren gab?

  • Wie gehst Du mit solchen Denkrastern um – bei anderen oder bei Dir selbst?

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